Reinhard Fabisiak
Meditation
und
Psychosomatik
Ich
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Die Neuauflage der „Meditation zur Selbsterfahrung“ mit Anpassung des Titels war notwendig, um den Erkenntnissen der „Psychologischen Körperanalyse“ (Fabisiak R.) gerecht zu werden. Die Annahme, dass die menschliche Vernunft überwiegend Gedanken, Gefühle und körperliche Funktionen im Leben steuert, ist angesichts der Erkenntnisse der modernen Stressforschung nicht richtig. Im Gegenteil handelt der Mensch auch in der Neuzeit oft wie ein von Trieben und Instinkten gesteuertes Säugetier, das mit der Begabung zur Vernunft empathisch frei entscheiden kann, losgelöst vom Vegetativum zur Selbstreflexion fähig ist und imstande, nach sozialen Regeln zu leben. Diese ernüchternde Erkenntnis bedeutet jedoch keineswegs, dass die Übung der Konzentration auf Gedanken, Gefühle und ihre körperlichen Ausdrucksformen vergeblich sein muss, da das Animalische letztlich ohnehin überhandnähme. Im Gegenteil wird gerade deshalb die Fähigkeit, sich selbst und das gesellschaftliche und soziale Umfeld aus einer ruhigen und konzentrierten Perspektive zu betrachten, immer wichtiger. In einer Gesellschaft, die versucht, ihre neurotischen Strukturen durch materiellen Konsum und individuelle Leistungen zu beruhigen, ist die Erfahrung des eigenen Körpers und seiner Sprache in der Bewältigung der Lebensaufgaben ohne Alternative.
Die Meditation gilt als eine der besten Maßnahmen, um das Wohlbefinden zu steigern und Stress zu reduzieren. Die Aufmerksamkeit, das sich selbst gewahr sein, richtet sich in der Übung mehr nach innen auf die aktuellen Gedanken, Gefühle und Motive. Gelingt es darüber hinaus, im Alltag die äußere Lebenswelt in ihrer gegenwärtigen Realität zu beobachten, wird sie achtsam wahrgenommen. Die Übungen zur Innenschau in der Meditation und der Achtsamkeit gegenüber dem äußeren Leben verändern auch die Motive zu den Handlungen. Sich „erden“ und „die Batterie wieder aufladen“ ist ein Weg, um sich bewusst einer reizüberflutenden Umwelt zu entziehen und sich selbst wieder zu spüren. Allerdings ist viel Zeit und Übung notwendig, um das unmittelbare Erleben zum Gegenstand der Betrachtung zu machen. Der Beobachter, von dem im Buch oft die Rede sein wird, muss für diese wichtige Aufgabe stabil genug sein, um in der Gegenwart zu ruhen. Oft fehlt nämlich die Übersicht und damit auch die Kontrolle über die eigenen Wahrnehmungen. Der Mensch ist nicht autonom, auch wenn er dies oft von sich selbst annimmt. Was als eigenständiges Denken, vom ich, der ich bin, benannt wird, drückt im Gegenteil oft ein inneres Verhalten aus, was unabsichtlich in Gedanken und Gefühlen wie aus dem Nebel auftaucht.
Aufgrund meiner ärztlichen Erfahrung habe ich von Anfang die körperliche Wahrnehmung von Empfindungen in den Vordergrund gestellt. Das Ich vieler Menschen fühlt sich irrtümlich schon mit vier erinnerten Ziffern überlegen, da es einem Automaten Geld entlocken kann. Beziehungen zur Lebenswelt in Gedanken, Gefühlen und körperlichen Reaktionen lassen viele Menschen hingegen oft verzweifeln und das medizinische Reparatursystem in Anspruch nehmen. Die „Affekte“, die als angeborene und automatische Reaktionen auf die Umwelt stehen und daher unmittelbar und mit ihrer existenziellen Kraft den Körper beeinflussen, werden in diesem Buch zusammen mit den Gefühlen betrachtet. Im Kontext der Meditation ist eine Unterscheidung nicht erforderlich.
Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft haben genug zu essen, erhalten medizinische Versorgung und haben ein sicheres Zuhause. Allerdings nimmt die Zahl derjenigen, die aufgrund von Bluthochdruck, chronischen Schmerzen und psychischen Erkrankungen behandelt werden müssen, stetig zu. Viele Menschen verstehen sich selbst nicht vollständig und fühlen sich, als würden ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen von ihrem eigenen Körper fremdgesteuert werden. Das Leben wird oft als ungerecht empfunden und fühlt sich wie ein ständiger Kampf an, der einen schließlich erschöpft. Deswegen versucht die moderne Wissenschaft, auch Antworten auf uralte Fragen über den Sinn des Lebens und den Umgang mit Alter, Krankheit und Sterblichkeit zu finden. Der größte Gegner auf dem Weg zur eigenen Essenz, den die Religionen als die Weisheit allen zeitlosen Daseins betrachten, ist die hektische und laute äußere Lebenswelt. In den Medien, im Geschäftsleben und im Konsum „rennt die Zeit unaufhaltsam davon“. In der Meditation hingegen wird die Aufmerksamkeit nach innen gerichtet. Dort sind unzählige Bilder, Geschichten und Gefühle verborgen, die darauf warten, entdeckt zu werden. Durch bewusste Wahrnehmung von sich selbst während der Meditation eröffnet sich ein Blick in die eigene unendlich große innere Welt. Ruhe, Konzentration und Achtsamkeit lassen die negativen Erfahrungen, vorgefassten Meinungen und belastenden zwischenmenschlichen Beziehungen verblassen.
Du bist, was Du fühlst und nicht, was Du denkst.
Die eigenen Gefühle stehen deshalb im Mittelpunkt, und es spielt eine untergeordnete Rolle, was man selbst oder andere Menschen denken, sagen oder tun. Durch die Meditation entwickelt sich nicht nur innere Einkehr und Ruhe, sondern auch ein gestärktes Selbstbewusstsein – die wichtigste Voraussetzung, um sich selbst als wertvoll zu empfinden. Es fällt leichter, Verantwortung für vergangene und gegenwärtige Lebensentscheidungen zu übernehmen. Dadurch entstehen mehr Zufriedenheit, Gelassenheit und innerer Frieden, die eine wohltuende Veränderung im Gegensatz zur Unruhe, Nervosität und Stress darstellen. Dieses Buch begleitet auf einer Reise zu neuen Empfindungen und vielen Wahrnehmungen in einem scheinbar fremden Terrain. Mit den vorgestellten Prinzipien sollten unbewusste Motive und Gefühle erkannt, benannt, bearbeitet und schließlich zu Handlungen geführt oder bewusst verweigert werden. Diese persönliche Erfahrungswelt ist wertvoll und einzigartig. Auch in der traditionellen östlichen Philosophie und der abendländischen christlichen Kultur steht das Individuum im Mittelpunkt. Es geht eher darum, was man selbst tut, als um andere oder die Gesellschaft im Allgemeinen. In diesem Zusammenhang werden Beispiele menschlichen Verhaltens verwendet, um zu veranschaulichen, wie der eigene Körper überraschende und oft unbewusste Handlungsimpulse umsetzt. In den Kapiteln über die psychologischen Bedingungen spielt die Selbstreflexion während der Meditation eine wichtige Rolle. Dabei treffen bewusste und unbewusste Lebenserfahrungen auf eine Persönlichkeit, die sich mithilfe der Meditation besser orientieren kann. Dadurch nimmt die Macht ungünstiger Erfahrungen über das Denken, Fühlen und Handeln ab.
Aus Sicht der traditionellen chinesischen und indischen Medizin (TCM und Ayurveda) besteht eine Wechselwirkung zwischen den Funktionen der inneren Organe und dem menschlichen Bewusstsein. Beide medizinischen Schulen betrachten Körper und Geist als untrennbar verbunden und sind auch in der westlichen Welt weitverbreitet. Daher können sie eine wertvolle Ergänzung zur Erfahrung des Körpers und seiner Gefühle bieten. Abschließend werden Formen der Meditation vorgestellt und erklärt. Dieser Teil lädt dazu ein, sie kennenzulernen und zu üben. Mit der Zeit wird die regelmäßige Konzentration des Bewusstseins genauso selbstverständlich wie das Zähneputzen im Alltag. Die Meditation wird zu einem täglichen Besuch bei sich selbst, zu einer ständigen Erfahrung des eigenen inneren Wesens, und sie führt zu einer stabilen inneren Ausrichtung. Mit der Zeit eröffnet sich dann immer mehr die Sicht auf den eigenen unerschütterlichen Kern, der alle fühlenden Wesen miteinander verbindet.
Dr. med. Reinhard Fabisiak
Salzgitter Bad, im Juli 2023